Dumping in Ostkliniken

Knapp 100 Pflegerinnen und Pfleger des Eisenbahnerstädter Krankenhauses im brandenburgischen Eisenhüttenstadt zogen am 17. Juni mit Fahnen und Trillerpfeifen Richtung Stadthalle. Die Wut unter der Belegschaft ist groß: »Warum soll unsere Arbeit weniger wert sein als die unser Kollegen in Berlin oder München?«, fragte Juana im jW-Gespräch. Seit 35 Jahren arbeitet sie hier am städtischen Krankenhaus. Die Psychiatrische Station, auf der sie tätig ist, wurde wegen der Pandemie zur Covid-19-Station umfunktioniert. Wie auch ihre Kollegin Babara von der Intensivstation (ITS) kämpften sie an vorderster Front gegen das Virus.

Das Arbeitspensum für die Beschäftigten ist enorm. Für die acht Betten auf der ITS sind in der Nacht oft nur zwei Pflegekräfte da, obwohl gerade bei komplizierten Beatmungen eine persönliche Betreuung notwendig wäre. Höchstens ein freies Wochenende gibt es im Monat. »Wenn du Glück hast«, fügt Juana hinzu. Obwohl sie auf einer Coronastation mit vielen älteren Pflegekräften zusammenarbeitet, wurden sie nie auf das Virus getestet. Und der Lohn für ihren Arbeitseinsatz? Barbara zeigt auf einen Balkon, ein Pärchen beobachtet die auf dem Gehweg vorbeiziehenden Demonstranten: »Vielleicht fangen die gleich an zu klatschen!« Zynisch lachen ihre Kolleginnen. Von einer »Coronaprämie« haben sie noch nichts gesehen. Es geht ihnen nicht nur um die Anerkennung durch ein einmaliges Trinkgeld. Vielmehr um die Aufwertung des Pflegeberufes – und um die Anerkennung, dass an ostdeutschen Krankenhäusern die gleiche Arbeit geleistet wird wie im Westen.

Auch 30 Jahre nach dem Anschluss der DDR klafft zwischen den Löhnen in Ost und West weiterhin eine riesige Lücke. Nicht nur im privaten Sektor, auch bei den kommunalen »Arbeitgebern«. Zwar schaffte es Verdi 2008 im Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD) den Tabellenlohn im Osten auf das Westniveau zu heben, doch schon mit dem Abschluss des ersten TVöD begannen die kommunalen »Arbeitgeber« mit der Tarifflucht. Zwischen 2006 und 2008 traten die meisten kommunalen Krankenhäuser des Landes Brandenburg aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) aus, beziehungsweise es wurde eine »Mitgliedschaft ohne Tarifbindung« erfunden. Die Folge: Kein einziges Krankenhaus in Brandenburg ist noch an den TVöD gebunden. Das Haus in Eisenhüttenstadt war eines der ersten, welches 2006 den Tarifvertrag einseitig aufkündigte. So mussten die kommunalen Krankenhäuser nicht nur die TVöD-Lohnerhöhungen nicht zahlen, sondern konnten die Entgelte für neu eingestellte Beschäftigte auch noch unter das Niveau von 2006 absenken.

Erst nachdem sich in zehn Jahren Tariflosigkeit die Arbeitsbedingungen so drastisch verschlechtert hatten, dass es kaum noch möglich war, neues Personal für die überalterte Belegschaft zu finden, begannen sich die Beschäftigten am Eisenbahnerstädter Krankenhaus erneut zu organisieren. 2017 erkämpften sie einen Haustarifvertrag. Auch in anderen Krankenhäusern Brandenburgs organisierten sich Belegschaften. Mittlerweile gibt es an 13 der 22 kommunalen Häuser wieder Tarifverträge. Doch lediglich das Klinikum Dahme-Spreewald zahlt seit dem 1. Mai Löhne auf TVöD-Niveau.

Was den Cottbusser Verdi-Gewerkschaftssekretär Ralf Franke besonders empört: Im vergangenen Tarifangebot der sogenannten Arbeitgeber in Eisenhüttenstadt liegt der Tabellenlohn für die unterste Gehaltsstufe noch nicht einmal auf der Höhe des Vergabemindestlohns des Landes Brandenburg. »Wenn die Kommunen und kommunale Unternehmen Aufträge an externe Firmen vergeben«, so Franke, »müssen diese mindestens 10,68 Euro die Stunde zahlen. Doch einige kommunale Krankenhäuser und deren Tochtergesellschaften selber zahlen diesen Lohn nicht an ihre Beschäftigten!«

Kaum besser sieht es bei den höheren Gehaltsstufen aus. Franke: »Eine Pflegefachkraft in der Psychiatrie beispielsweise, die seit zehn Jahren hier arbeitet, verdient 830 Euro monatlich weniger als ihre Kollegin an einem Haus, das nach TVöD bezahlt.« Geld genug für ein besseres Angebot wäre auch in Eisenhüttenstadt da: Zuletzt erwirtschaftete das Krankenhaus einen Überschuss von zwei Millionen Euro.

Während der Demonstration ziehen die Pflegekräfte an verfallenen Plattenbauten vorbei, ihr Ziel ist eine Sporthalle, die verlassen auf einer riesigen Wiese steht. Hier in der »Inselhalle« findet die Sitzung des Kreistages statt. Die Beschäftigten erwarten von den Mandatsträgern, dass sie als Eigentümer des Krankenhauses Verantwortung übernehmen. Vor allem erwarten sie vom ehemaligen IG-Metall Betriebsrat der Hüttenwerke und jetzigen Bürgermeister Frank Balzer, dass er Stellung bezieht. Fehlanzeige. »Ich unterstütze euch, wenn ihr euch auf Bundesebene für eine Reformierung der Krankenhausfinanzierung einsetzt«, sagte er den Protestierenden.

Gewerkschafter Franke zeigt sich von seinem alten Gewerkschaftskollegen mit Bürgermeisterkette enttäuscht. Entmutigen indes lässt er sich nicht: »Wir kämpfen auf Bundesebene für eine Abschaffung des Fallpauschalensystems, auf Landesebene für eine Ausfinanzierung der Krankenhäuser«, betont er. Und auf kommunaler Ebene natürlich für eine Rückkehr zum TVöD.

(Veröffentlicht am 19.6.2020 in Junge Welt)