»Ich bin kein Richter«

Der Medienandrang war groß, als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag die Beschäftigten des Lebensmittellieferdienstes Gorillas in Berlin-Kreuzberg traf. »Woher kommt ihr?« war seine erste Frage an die überwiegend migrantische Belegschaft, bevor er sich für die Probleme der Beschäftigten interessierte. Und davon gibt es viele – von geringen Löhnen und fehlerhaften Abrechnungen über mangelhafte Arbeitskleidung, kaputte Fahrräder, die zu lange Probezeit und Kettenbefristungen bis hin zu aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen.

Seit Anfang Juni treten in Berlin die Gorillas-»Rider« – wie die Fahrradkuriere genannt werden – immer wieder in wilde Streiks. Auch am Wochenende entzündeten sich die Streiks wieder an Entlassungen. Mehreren Ridern aus Argentinien, die sich auch an den Streiks Anfang Juni beteiligt hatten, sei in einem Onlinetelefonat mitgeteilt worden, dass sie mit ihren Visa nicht mehr bei Gorillas arbeiten dürften und ihre Verträge mit sofortiger Wirkung aufgehoben seien, erzählt der Fahrer Jakob Pomeranzev im Gespräch mit jW. Und das, obwohl sie von der Ausländerbehörde ein Schreiben gehabt hätten, das die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zu ihrem nächsten Termin bei der Behörde erlauben würde.

Jakob war etwas verblüfft, als Hubertus Heil berichtete, dass er sich gerade mit dem Management von Gorillas getroffen habe, denn er stehe Hinterzimmergesprächen kritisch gegenüber. »Ich bin kein Richter«, war Heils Antwort auf die Frage der Beschäftigten, was er denn für sie tun könne. Er wolle alle Seiten hören, um sich eine Meinung bilden zu können. Am Abend habe er eine Videokonferenz mit den Arbeitsministern der USA, Kanadas, Portugals und weiterer Länder, erklärte er auf der anschließenden Pressekonferenz. Seine einzige Idee ist, mit der Berliner Senatorin Elke Breitenbach darüber zu reden, ob die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen bei Gorillas nicht geprüft werden könne.

Erst gestern ist es im Gorillas-Lager Friedrichshain zu einem Brand gekommen. Es soll in der Batterieladestation der E-Bikes gebrannt haben. Vorher war beanstandet worden, dass entflammbare Flüssigkeiten direkt neben den Batterieladestationen gelagert werden. Fotos zeigen, wie viele Hochleistungsbatterien an einer einfachen Verteilerdose hängen. Rauchmelder habe es im Lager nicht gegeben, heißt es. Um eine Überprüfung wolle sich Heil kümmern. »Aber auf unsere restlichen Forderungen ist er nicht eingegangen«, beschwert sich Jakob nach dem Treffen. Heil versicherte den Beschäftigten gegenüber zwar, dass er sachgrundlose Befristungen abschaffen wolle, aber in der Koalition mit der CDU sei dies nicht durchsetzbar. Ganz im Wahlkampfmodus, warb er für neue Mehrheiten nach den Bundestagswahlen. Auf die Kritik der Beschäftigten, eine Probezeit von sechs Monaten sei viel zu lang, ging er nicht ein. Jakobs Schlussfolgerung ist, dass Heil nicht auf der Seite der Beschäftigten steht und ihren Kampf nicht unterstützt.

Warum denn ihr Streik immer noch als illegal betrachtet wird, wollte ein Beschäftigter von Heil wissen, doch der wich der Frage aus. »Letztendlich hat er uns gesagt, dass wir in einer Demokratie leben, wo nicht jeder streiken darf«, sagt Jakob. Nach Heils Meinung solle die Belegschaft einen Betriebsrat gründen und sich an eine Gewerkschaft wenden. »Die Gewerkschaften unterstützen uns aber nur passiv, weil sie Angst vor Strafen haben, wenn sie unsere Streiks unterstützen«, betont Jakob. »Sie sind fest in der Sozialpartnerschaft gefangen.« Und Betriebsratswahlen sind längst in die Wege geleitet, wie jW berichtete. Auch Heils »Betriebsrätemodernisierungsgesetzes« wurde bei dem Gespräch in Kreuzberg wiederholt kritisiert. Die »Aktion Arbeitsunrecht« übergab dem Minister eine Petition mit 1.600 Unterschriften, in der sie eine Überarbeitung des im Mai verabschiedeten Gesetzes verlangt. Die Unterzeichner fordern, dass die Staatsanwaltschaft von selbst gegen Behinderungen der Betriebsratsarbeit ermittelt und eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität geschaffen wird, um gegen »Union Busting« vorzugehen. Außerdem verlangen sie ein zentrales Register für Betriebsratswahlen. Heil unterstützt lediglich den ersten Punkt.

Dieser Artikel erschien in der Jungen Welt