Fahrern in die Speichen greifen

Die Stimmung vor dem Estrel-Kongresszentrum in Berlin-Neukölln war angespannt. Zwei junge Rider – so nennen sich die Fahrradkuriere des Onlinesupermarktes Gorillas – probierten am Donnerstag einer Gruppe von knapp 50 leitenden Angestellten das Betriebsverfassungsgesetz zu erklären. Die Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes stünde Beschäftigten offen, aber keinen leitenden Angestellten. Eine Frau im blauen Sommerkleid versuchte die ausgeschlossenen Leitungskräfte zu organisieren. Sie war besonders empört: »Ich bin auch Gorillas-Arbeiterin!« Doch eine E-Mail, die von besagter »Gorillas-Arbeiterin« stammen soll, wurde signiert mit »Special Project Management CEO«.

Erst als sich der Sicherheitsdienst des Estrels einschaltete und gedroht wurde, die Polizei zu rufen, zog sich die Gruppe zurück. Einige bekamen die Ansage: »Ihr könnt jetzt wieder zurück ins Büro gehen«, viele versammelten sich im Biergarten auf der anderen Straßenseite.

Joaquín*, Mitglied des »Gorillas Workers Collective«, das die Betriebsratsinitiative angestoßen hatte, beklagte gegenüber jW die mangelnde Kooperation des Unternehmens in der Vorbereitung der Wahl. »Erst drei Tage vor der Versammlung haben wir eine Mitarbeiterliste zugeschickt bekommen. Die war aber total veraltet.« Erst am Abend vor der Versammlung hätten sie eine aktualisierte Liste bekommen. Eine Beschreibung der Posten habe das Unternehmen aber nicht zur Verfügung gestellt. »Wie sollen wir etwa wissen, welche Entscheidungskompetenz ein ›Real-Estate Manager‹ hat?« fragte Joaquín.

Gegründet hat sich die Gruppe »Gorillas Workers Collective« im Februar. Trotz des harten Wintereinbruches stellte Gorillas den Betrieb nicht ein. Als sich die Fahrer weigerten, ohne Winterkleidung und trotz Schneesturm Bestellungen auszuliefern, soll ein Lagerleiter ihnen gesagt haben: »Wenn ihr nicht fahren könnt, dann lauft.« Erst ein wilder Streik zwang das Unternehmen, den Betrieb einzustellen.

»Wir wollen faire Löhne«, sagte Joaquín im jW-Gespräch. Gorillas zahlt Kurieren mittlerweile nur noch einen Stundenlohn von 10,50 Euro. Inklusive Trinkgeld liegt dieser laut Angabe des Unternehmens durchschnittlich bei 11,50. Die meisten Rider hätten Rückenprobleme. Es gäbe lediglich die Empfehlung, dass Lieferungen nicht schwerer als zehn Kilo sein sollten. »Wir wollen eine verbindliche Maximallast und Waagen in den Lagern, um diese zu kontrollieren«, forderte Joaquín.

Gorillas versicherte hingegen auf jW-Anfrage: »Wir haben eine technische Lösung, die das Gewicht der Artikel einer Bestellung aufsummiert. Wenn das Gewicht größer als zehn Kilogramm ist, wird das Warehouse-Personal über ein Dashboard benachrichtigt, dass die Bestellung zu schwer ist.« Wenn dies der Fall sei, werde die Lieferung auf mehrere Rider verteilt, so das Unternehmen. Joaquín sagte hingegen, dass er und seine Kollegen oft Lieferungen ausfahren müssten, die weitaus schwerer sind. Einige Vorgesetzte würden es den Kurieren zudem verbieten, die Last im Gepäckkorb der Fahrräder zu transportieren.

Gegenüber jW bekräftigte das Unternehmen: »Gorillas unterstützt die Gründung des Betriebsrats voll und ganz – dies steht auch in unserem Manifest.« In eine ähnliche Richtung geht auch der erste Teil einer E-Mail, die das Unternehmen am Donnerstag abend an alle Beschäftigen verschickte. Im weiteren Verlauf des Schreibens heißt es dann aber, die Geschäftsführung sei schockiert, dass Manager von den Wahlen ausgeschlossen worden seien, zudem fände eine Prüfung der rechtlichen Grundlagen statt. Beendet wird die Mail mit einer Drohung an das »Gorillas Workers Collective«: »Wir werden keine Gruppe tolerieren, die probiert, uns zu spalten, und diese wunderschöne Firma mit ihrer Kultur und dem Geist der Einheit schaden möchte.«

*Name von der Redaktion geänder

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jungen Welt