Infektionsrisiko Lagerzwang
Die Polizei passte penibel auf, dass Masken getragen und 1,5 Meter Abstand gehalten wurden, als knapp 150 Protestierende am Freitag in München vor den Sitz der Regierung Oberbayerns zogen. »Hier achtet die Polizei genau auf das Einhalten der Mindestabstände, aber in den Geflüchtetenlagern …« – Samba von der Gruppe »Refugee struggle for freedom« ist aufgebracht: »Da werden teilweise positiv getestete Geflüchtete zusammen mit gesunden Menschen in das gleiche Zimmer gesperrt!« Bundesweit haben sich viele Lager zu Brennpunkten der Coronavirusinfektion entwickelt. Die Gesundheitsämter gaben zwar die Anweisung, infizierte Geflüchtete separat unterzubringen und getrennte Sanitäranlagen zur Verfügung zu stellen, aber in vielen Lagern Bayerns findet dies offenbar nicht statt. Samba erzählt, dass in Neumarkt in der Oberpfalz positiv getestete Flüchtlinge in einen Container mit bisher nicht infizierten Menschen gesteckt werden. Vor allem in Gemeinschaftsunterkünften oder Kurzzeitaufnahmen, von denen aus die Geflüchteten auf andere Lager verteilt werden sollen, ist die Situation beängstigend. Die Anweisung des Innenministeriums, die Belegung zu »entzerren«, scheint hier oft nicht umgesetzt zu werden.
So zum Beispiel in der Münchner Kurzzeitaufnahme Lotte-Branz-Straße 2. Alle 460 Betten scheinen belegt zu sein. Bis zu 16 Personen sind hier auf einem Zimmer untergebracht, berichtet ein Bewohner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. »Wenn sich eine Person krank fühlt, wird sie auf der anderen Seite des Flures eingesperrt. Der Wachdienst verschließt das Zimmer von außen und lässt sie nur unter Aufsicht zum Bad gehen.« Das gleiche Bad mit drei Duschen und zwei Toiletten, das von den anderen 50 Bewohnern des Flures auch genutzt wird. »Seife gibt es nicht, geschweige dann Desinfektionsmittel. Wir bekommen auch keine Putzutensilien von der Heimleitung zur Verfügung gestellt. Unsere Zimmer putzen wir mit unseren T-Shirts.« In der Lotte-Branz-Straße sind neben Neuankömmlingen auch Geflüchtete untergebracht, die aus ihren Wohnungen ausziehen mussten, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Eigentlich sollen sie binnen weniger Wochen auf andere Lager verteilt werden, aber seit dem Ausbruch der Pandemie wurde keiner mehr verlegt. Taschengeld, um sich selbst Putzutensilien zu kaufen, bekommen sie nicht. Alle müssen gemeinsam das Essen in der Kantine einnehmen. Die für das Lager verantwortliche Regierung von Oberbayern äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Zuständen in der Lotte-Branz-Straße.
In anderen Lagern funktioniert die räumliche Trennung besser. Einige Unterkünfte wurden zu Quarantänelagern umfunktioniert, in »Anker-Zentren« wurden geschlossene Bereiche für Infizierte geschaffen. »Aber es ist ein Wahnsinn, wie die Leute herumgeschubst werden«, sagt Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat gegenüber jW. »Familien werden auseinandergerissen, und es gibt keine Kommunikation.« Oft steht eines Morgens einfach die Polizei vor der Tür, um Menschen abzuholen. »Viele denken, dass sie jetzt in Abschiebehaft kommen oder direkt zum Flughafen gefahren werden.« Einige Lager, wie das »Anker-Zentrum« Geldersheim, stehen unter Kettenquarantäne, die sich bei jeder nachgewiesenen Neuinfektion für alle Insassen verlängert. Doch auch in Lagern mit getrennten Bereichen für Infizierte, wie in der Max-Immelmann-Kaserne in Ingolstadt, dürfen die Bewohner das Gelände nur für Arzttermine verlassen, erzählt einer, der an diesem Tag einen hatte und einen Abstecher zur Demo gemacht hat. »Das Camp ist jetzt wie ein Gefängnis.«
Dabei fehlt es in Bayern nicht an Betten. Fast alle der 80.000 Hotelbetten in München sind frei. Doch statt diese Kapazitäten zu nutzen, verschärft der Staat die Repression gegen Geflüchtete.
Seit langem kämpft Samba gegen den Lagerzwang. Doch in Zeiten der Pandemie ist es um so wichtiger: »Solange die Lager nicht schließen, wird Corona nicht aufhören, sich auszubreiten.«
(Veröffentlicht am 23.5.2020 in Junge Welt)