Vermeiden, verkürzen und verlagern
ElektroMobilität — Warum der Abbau von Lithiumpulver in Argentinien für E-Autos in Deutschland den Klimawandel vorantreibt, statt ihn zu stoppen
von Simon Zamora Martin in ver.di Publik
Schwerfällig gräbt sich der alte Jeep von Roman Guitian durch den losen Sand der Argentinischen Hochlandwüste. Das riesige Tal auf 4.000 Meter Höhe schillert unter einem wolkenlosen Himmel in allen Erdfarben: Braun, Gelb, Beige. Und in Weiß ein riesiger Salzsee, der am Horizont auftaucht. In einem Jahr fällt hier so viel Regen wie in Deutschland im Schnitt in 1,5 Stunden. Auf einer schmalen 50 Kilometer langen Grasnarbe am Rande eines Baches weiden Schafe, Ziegen und Lamas von Roman Guitians halbnomadisch lebenden Familienclan vom Volk der Atacameños. Wolle und Fleisch der Tiere geben ihnen eine Lebensgrundlage. Seit Jahrhunderten leben sie in der kargen Region von Viehzucht. Die Puna, wie das Land hier heißt, gehört zu den ärmsten Regionen Argentiniens.
Doch unter der weißen, harten Kruste der Salzseen schlummert ein Schatz, der das Weltklima retten soll: Lithium. Auf Jahrzehnte der wohl wichtigste Rohstoff für die Produktion von Batterien, die die Tanks in unseren Autos ersetzen sollen. Die Preise des „weißen Goldes“ explodieren: Lithium ist heute mehr als 15-mal so teuer wie noch vor zwei Jahren, was eine regelrechte Goldgräberstimmung ausgelöst hat. Roman Guitian hingegen sieht vom Lithiumrausch die Lebensgrundlage seines Volkes gefährdet.
Ausgedörrte Grasbüschel
Roman stoppt im Nachbartal vor einem großen Werbeschild von Livent. Bereits seit 25 Jahren fördert der US-Konzern hier Lithium. Früher landete das weiße Pulver vor allem in Tabletten und Glas. Heute in den Batterien von BMW und Tesla. Hinter dem blau-roten Werbebanner erstreckt sich eine große schwarze Fläche: alles ausgedörrte Grasbüschel. „Früher war das hier eine grüne Flusslandschaft“, sagt Guitian. Livent baute einen Staudamm am kleinen Trapiche-Fluss, um den Süßwasserdurst ihrer Produktionsanlagen zu stillen. „Die Frau, die da drüben wohnt“, Guitian deutet auf ein kleines Gehöft, „sie hatte einst 300 Lamas. Heute hat sie nur noch neun. Sie sterben alle, weil sie kein Futter mehr finden.“
Landstriche, die für grüne Autos austrocknen, passen nicht gut zum Image der Elektromobilität. Aber genau dafür steht die südamerikanische Lithiumproduktion seit Jahren in der Kritik. Wo das Lithium der Autobatterien herkommt, ist oft nicht ersichtlich. VW zum Beispiel kauft es bei einem chinesischen Unternehmen, bei dem es sich nur schwer zurückverfolgen lässt, wo das Lithium produziert wird. BMW setzt indes auf Transparenz und wirbt auf ihrer Webseite damit, dass sie ihr Lithium direkt von einem Zulieferer beziehen, der dank eines eigenen Verfahrens „besonders nachhaltig“ produzieren soll: Livent. Doch Recherchen des ARD-Politmagazins „Panorama“ und „Strg_F“ haben gezeigt, dass Livents Wasserbilanz offenbar nicht besser, sondern schlechter ist als andere in der Kritik stehende Lithium-Bergwerke.
Für die Produktion einer Tonne Lithiums benötigt Livent demnach 900.000 Liter Süßwasser aus der Wüste. Aktuell wollen sie dafür den Fluss des Familienclans Guitian anzapfen, um ihre Produktion bis 2030 auf 18.800 Tonnen reines Lithium zu steigern. Und sie sind nicht die einzigen, die diesen Schatz bergen wollen. Sieben weitere Bergbauprojekte stehen in den Startlöchern.
„Ich bin nicht prinzipiell gegen den Bergbau.“ Roman Guitian blickt hinunter auf die Staubwolken der Bergbaufahrzeuge, die schon über seine Weidegründe rollen. Das Blöken der Lämmer hallt hinauf und im Tal sucht eine Herde von Lamas Futter zwischen den zugefrorenen Pfützen des Bachlaufes. „Ich habe selbst im Bergbau gearbeitet.“ Aber weil er grundlegende Rechte wie adäquate Schutzkleidung, pünktliche und vollständige Lohnzahlungen und einen verantwortungsvollen Bergbau eingefordert hat, wurde er entlassen.
Argentinische Gewerkschafter
Aus einer Staubwolke in der Ferne taucht ein Wagen auf und hält vor Guitian. Drei Bergarbeiter in orangenen Arbeitsjacken steigen aus dem weißen Toyota. Es sind Betriebsräte eines Subunternehmens von Livent, die ihren Besuch angekündigt haben. Distanziert, aber höflich begrüßt Guitian die Männer. „Als wir angefangen haben zu arbeiten, hatten wir keine Ahnung von den ökologischen Problemen“, sagt Pedro Torres, der Betriebsratsvorsitzende. Torres kommt aus einer Kleinstadt knapp 500 Kilometer südlich des Salzsees, wo er über Jahrzehnte gegen zwei riesige Gold- und Kupfermine gekämpft hat.
Der Bergbau dort hätte große Wasserprobleme verursacht und nach 25 Jahren wären die umliegenden Dörfer ärmer gewesen als zuvor. Doch der Kampf gegen die Umweltzerstörung sei schwierig. „Wegen der fehlenden Arbeit“, sagt Torres. Hauptsache ein Arbeitsplatz. Egal, was für einer. Das denken sich die Menschen hier. „Aber was ist das schon für eine Arbeit, die wir machen? Wir schuften ein paar Monate und dann sind wir wieder auf der Straße“, sagt Torres. Bergbau hieße Brot für heute und Hunger für morgen.
Auf die Frage, warum es bisher keinen gemeinsamen Kampf von indigenen Gemeinschaften und Gewerkschaften gibt, reagieren beide distanziert. „Davon sind wir weit entfernt“, sagt Torres. Guitian sagt: „Niemals wird sich ein indigenes Volk mit einem Gewerkschafter vereinen. Gewerkschaften werden immer von anderen Interessen gesteuert.“
Ja, Gewerkschaftsführungen seien in Argentinien teilweise sehr korrupt, erklärt Natalia Morales. Sie ist umweltpolitische Sprecherin der Partei der Sozialistischen Arbeiter (PTS), die in der Lithiumprovinz Jujuy die größte Oppositionspartei bildet. In einigen Gewerkschaften sei es sogar gang und gäbe, dass arbeitgebernahe Fraktionen die Wahl von Gewerkschaftssekretär*innen mit Waffengewalt manipulieren. Aber gerade in dem Fakt, dass viele Beschäftigte des Bergbaus gleichzeitig als Teil ihrer indigenen Gemeinschaften gegen Umweltzerstörung kämpfen, sieht sie viel Potential.
Es bräuchte ein Programm, was die Kämpfe vereint. „Wir fordern eine Verstaatlichung des Bergbausektors“, sagt Morales. „Aber eine Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten und indigenen Gemeinschaften, unterstützt von der Wissenschaft.“ Es gäbe bereits viele Forschungen zu umweltschonenden Förderverfahren. Doch diese würden aus Profitinteressen nicht angewendet werden. Den großen Konzernen ginge es nicht um den Klimawandel, sondern nur um mehr Profit mit neuen Technologien, so Morales. „Soll Lateinamerika mal wieder geopfert werden, damit die Autoindustrie in Amerika und Europa sich die Taschen vollstopft? Nein.“
Die deutsche Autoindustrie
Auch in Deutschland wird es wärmer. Extreme Wetterereignisse häufen sich. Wie die Flut, die das Ahrtal weggespült hat. Größere Dürren lassen andererseits Wälder in bisher ungekanntem Ausmaß sterben. Das merkt auch Lars Hirsekorn. Seit fast 30 Jahren arbeitet er bei VW in Braunschweig. Autos hätten ihn nie besonders interessiert. Er sei zu VW gegangen, weil es in der Region nicht viele Alternativen gibt. Vor knapp zehn Jahren zog er raus aufs Dorf und begann Stück für Stück die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren.
Mittlerweile ist der Harz, das nahe gelegene Mittelgebirge, in dem Hirsekorn gerne wandern geht, ein riesiger Baumfriedhof. Und auch auf seinen Alpentouren schmelzen ihm immer wieder Gletscher unter den Füßen weg. Freunde hätten ihm die erste große Rede von Greta Thunberg zugeschickt, in der sie sagt: „Das Haus steht in Flammen.“ Wissenschaftliche Arbeiten zum Klimawandel gäbe es schon seit den 70er Jahren, die hätten ihn nie erreicht. Gretas Reden schon. Gleichzeitig tobe im Betrieb eine heiße Debatte: Wie geht es angesichts der Klimakriese weiter mit dem Autobau? Rettet uns das E-Auto?
„Aus ökologischer Perspektive ist das völliger Unsinn“, sagt Hirsekorn. Der CO₂ Ausstoß in der Produktion ist bei einem E-Auto wesentlich größer als bei einem Verbrenner. Und auch über die Nutzungsdauer gerechnet haben die sich gerade gut verkaufenden E-SUVs kaum einen Emissionsvorteil. Das zeigen auch Studien des Fraunhofer Instituts. E-Autos würden allein die Profite der Autobauer retten. „51 Millionen neue Autos in kurzer Zeit zu verkaufen: Das ist ein Jahrhundertgeschäft.“ Tatsächlich bräuchte es weniger Autos, um den Klimawandel und die Umweltzerstörung wie in Argentinien zu stoppen. Nicht mehr.
Also doch den Menschen das Auto wegnehmen, um das Klima zu retten? Hirsekorn verneint energisch. „Es hilft auch nicht, den Spritpreis auf fünf Euro hochzusetzen, damit Leute umsteigen. Das Problem ist: Der aktuelle Zustand des öffentlichen Verkehrs ist total unakzeptabel.“
Die machbare Verkehrswende
Konzepte für eine soziale und ökologische Verkehrswende gibt es schon lange. In Deutschland arbeitet Winfried Wolf seit den 80er Jahren zu dem Thema. Wie andere Wissenschaftler setzt er auf eine „3-V-Zielsetzung“: Verkehr vermeiden, verkürzen und verlagern. Verkehr entsteht beispielsweise auch durch die immer weitere Auslagerung von Produktion in Billiglohnländer. Eine einfache Jeans reist in ihrem Produktionszyklus mehrfach um die Welt. Nur, weil die Produktion wo anders gerade billiger ist oder Umweltstandards niedriger sind. Dieser Verkehr wäre vermeidbar.
Oder durch die Konzentration des Einzel- und Onlinehandels und die Zentralisierung von Krankenhäusern und Behörden müssen immer weitere statt kürzerer Wege zurückgelegt werden. Auch hier könnte Verkehr reduziert werden. Und der restliche Verkehr müsste auch nachhaltiger werden. Also weg vom Auto und Flieger hin zu Fuß-, Rad-, Bus- und Bahnverkehr.
Seit vergangenem Jahr ist Lars Hirsekorn freigestellter Betriebsrat bei VW. Als VW-Betriebsrat für weniger Autos einzutreten, ist für ihn kein Wiederspruch. „Wenn wir einen halbwegs akzeptablen ÖPNV haben wollen, brauchen wir eine Industrie, die genug Busse und Bahnen bauen kann.“ Die Wartezeiten auf eine neue Straßenbahn betrügen gerade durchschnittlich fünf Jahre, so Hirsekorn. „Was wir brauchen, ist die politische Entscheidung, den ÖPNV massiv auszubauen.“
Die drei wichtigsten FAQ zur Verkehrswende
Wie sauber ist das E-Auto?
Im Betrieb stößt ein E-Auto wesentlich weniger Schadstoffe aus als ein Verbrenner. In der Produktion ist das E-Auto hingegen wesentlich co2-intensiver und verbraucht mehr kritische Rohstoffe. Beim heutigen Strommix aus fossiler und erneuerbarer Energie muss ein Kleinwagen laut Fraunhofer Institut rund 70.000 Kilometer fahren, um einen co2 Vorteil gegenüber Verbrennern zu haben. Ein Oberklasse-Wagen mit co2-intensiver Batterie hingegen 200.000 Kilometer.
Zerstört die Verkehrswende Arbeitsplätze?
Das hängt davon ab, wie wir als Gewerkschafter*innen die Verkehrswende gestalten. Statt ganze Fabriken zu schließen, wo gute Tariflöhne gezahlt werden, um neue Fabriken ohne Tarifbindung zu eröffnen, müssen wir für eine Umstellung der Produktion auf klimafreundliche Technologien kämpfen. Damit eine Verkehrswende gelingen kann, braucht es einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs samt Zulieferindustrie, wodurch hunderttausende Arbeitsplätze entstehen würden.
Was heißt Verkehrswende?
Viele Konzepte setzen auf die sogenannte „3-V-Zielsetzung: Verkehr vermeiden, verkürzen und verlagern. Vermeidbarer und verkürzbarer Verkehr entsteht beispielsweise in der Industrie, wenn Zwischenprodukte mehrfach um die Welt geschifft werden, weil die Löhne oder Umweltauflagen woanders niedriger sind. Oder wenn Dorfläden und Ärzte schließen und Wege deshalb weiter sind. Der restliche Verkehr soll weitestgehend auf klimaschonende Transportmittel verlagert werden: Statt Auto und Flieger wo möglich Fuß, Rad, Bus und Bahn. Die dafür nötige Infrastruktur ist derzeit nicht vorhanden und auch in Zukunft wird es noch Autos geben. Bloß viel wenigere und kleinere.