Streikbewegung hält
Berliner Kliniken Charité und Vivantes blockieren Tarifverhandlungen. Doch die Demokratisierung des Arbeitskampfs zeigt Erfolge.
Am Wochenende sind erneut Verhandlungen zwischen Verdi und dem Management der Berliner Kliniken Charité und Vivantes gescheitert. Die Gewerkschaft fordert mehr Personal und die Anwendung des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) für alle Beschäftigten.
»Das bisherige Arbeitgeberangebot zur Personalbesetzung lässt viele Bereiche außen vor und ist in anderen noch unzureichend«, kommentierte Gewerkschaftssekretär Oliver Bandosz, der für Verdi die Tarifverhandlungen bei Vivantes führt, die letzten Gespräche vom Freitag. Immerhin verhandelt die Geschäftsführung mittlerweile über einen sanktionierten Pflegeschlüssel. Die Idee: Für jede Schicht mit zuwenig Personal bekommen die Beschäftigten einen Belastungspunkt. Sechs Punkte können dann in einen zusätzlichen Urlaubstag umgewandelt werden. Management und Beschäftigte haben allerdings noch sehr unterschiedliche Vorstellungen, wieviel Personal in den einzelnen Bereichen benötigt wird. Dorothea Schmidt, Vivantes-Geschäftsführerin für Personal, stellte die Forderungen nach einer Belastungsgrenze als »völlig unrealistische Anforderungen« dar, kündigte aber neue Gespräche ab Montag an.
Ganz anders sieht es bei den Verhandlungen um den TVöD für die Tochterunternehmen aus. Hier würde Schmidt gerne auf eine Schlichtung setzen. In einer Pressemitteilung teilte Vivantes mit, der Konzern habe einen Stufenplan zur Angleichung der Entgelte an den TVöD vorgeschlagen. Ein Hinweis fehlte: Die Maßnahme soll erst ab 2028 greifen – und auch nur, wenn es »die ökonomische Situation von Vivantes« zulässt, wie ein Mitglied der Tarifkommission nach den Verhandlungen am Freitag mitteilte. Auch die Struktur des TVöD wollte Vivantes nicht übernehmen. Die höchsten Lohngruppen sollen abgeschafft werden. Die wohl dreisteste Forderung: Als Gegenleistung verlangt Vivantes eine absolute Friedenspflicht. Streiks sollen in den nächsten sieben Jahren verboten sein.
Wie katastrophal die Arbeitsbedingungen in den landeseigenen Tochterunternehmen wirklich sind, berichteten am Freitag verschiedene Beschäftigte der jW. In der Speiseversorgung sei die Siebentagewoche eingeführt worden – ohne Zustimmung des Betriebsrates. Bei der Reinigungstochter Viva Clean gebe es lediglich Arbeitsverträge mit sechs bis sieben Stunden am Tag. Gearbeitet würden jedoch durchschnittlich 200 Stunden pro Monat. Um keine Überstundenzuschläge zahlen zu müssen, oder die gesetzlich vorgeschriebenen elf Stunden Ruhezeit einzuhalten, werde das geleistete Volumen an arbeitsfreien Tagen aufgeschrieben. In mehreren Tochterunternehmen klagen die Beschäftigten über systematische Unterschlagung von Überstunden. Beschäftigten, die am Streik teilnehmen wollen, werde mit »rechtlichen Konsequenzen« gedroht.
Die Kampfbereitschaft ist groß, betonte auch die Vivantes-Pflegerin Silvia Habekost: »Wir werden das nicht für einen faulen Kompromiss aufgeben«, sagte sie im jW-Gespräch. Ein wichtiger Unterschied zu anderen Kämpfen ist, dass die Tarifkommission nicht eigenständig Entscheidungen treffen kann, sondern die Zustimmung von Delegierten aus den verschiedenen Bereichen braucht. »Dieses System macht den Arbeitskampf zu einem wirklich demokratischen Prozess«, so Habekost.
Auch wenn Beschäftige von Vivantes und Charité, der Mutterkonzerne und der Töchter zusammen kämpfen, werden doch drei unterschiedliche Tarifverhandlungen geführt. Ist es nicht problematisch, wenn eine der drei Gruppen vorzeitig die Streikfront verlässt? Habekost sieht darin keine Gefahr: »Wenn Charité einen Tarifvertrag Entlastung abschließt, erhöht das den Druck auf Vivantes. Wenn sie nicht nachgeben, rennen ihnen die Beschäftigten weg«.
Dieser Artikel erschien in der Jungen Welt