Dunkeldeutschland?



Ein Heimatmoritat


Dunkeldeutschland?

Slide Die Nachrichten über Zehntausende PEGIDA-Demonstranten in Dresden, der Aufstieg der AfD und rassistische Übergriffe in Sachsen prägten die 2015 die Berichterstattung über Ostdeutschland. Die Ausschreitungen in Freital und Heidenau bildeten den einstweiligen Höhepunkt der Gewalt. Aber sind die Menschen da wirklich so rassistisch? Wie lebt es sich als Flüchtling zwischen Nazis?
Das Dorf Schmiedeberg liegt eine halbe Stunde hinter Freital. Die familiären Bande zwischen den beiden Orten ist eng. Einer der verurteilten Organisatoren der rassistischen Unruhen in Freital kommt aus der Umgebung von Schmiedeberg. Und die seit vier Jahren in Schmiedeberg untergebrachten Asylbewerber fahren täglich mit dem Bus nach Freital zur Schule. Untergebracht ist das Asylheim in einem leer stehenden Gebäude der Gießerei - den größten Arbeitgeber Schmiedebergs. Mitten im Wald. Das baufällige, verwahrloste Gebäude wird von einem alten Stasi-Offizier betrieben. Außer dem Sicherheitsdienst gibt es kaum Angestellte. Einmal die Woche kommt ein Sozialarbeiter vom Roten Kreuz vorbei, der gnadenlos überlastet ist.
Die Stimmung im Ort ist feindlich. Fast keiner beantwortet Grüße der Geflüchteten. Der Kneipier des „Come In“ hat sich eine Luftpistole angeschafft, falls ein Asylbewerber auf die Idee komme, in der Kneipe etwas trinken zu wollen. Und nach ein paar Bier wird auch lautstark über Mordpläne an Asylbewerbern diskutiert.

Slide Schmiedeberg. Die besten Zeiten der einstigen Hochburg der Metallverarbeitung sind lange vorbei. Viele Öfen sind erloschen. Die Rauchschwaden, die einst über dem sächsischen Ort lagen, sind verschwunden. Doch 2015 flammte ein neuer Konflikt auf. Das in einer alten Industrieruine untergebrachte Flüchtlingsheim brannte zweimal. Und die rassistischen Übergriffe werden längst nicht mehr gezählt.

Slide Nur wenig dringt aus dem in den endlosen Wäldern des Osterzgebirges versteckten Ort an die Außenwelt. Zwei, drei Meldungen über angeblich sexuelle Übergriffe der Asylbewerber und eine Nachricht, dass Heimbewohner den Sicherheitsdienst überfallen haben. Viele Bewohner geben sich wortkarg. Doch über „Asylanten“ zu hetzen gehört so zum guten Ton wie die geschnitzten Schmuckbögen in den Fenstern. Slide New Layer New Layer „Als ich das letzte Mal einen Kanaken im Penny beim Klauen erwischt habe ...“ Der 1,60 große Jens S. - den alle im Dorf nur „da Hüne“ nennen - ballt seine Fäuste fest zusammen. „Sein Kopf ist an der Wand aufgeplatzt. Den Asylanten haben sie laufen lassen. Mich als Deutschen in Handschellen abgeführt. Die Anzeige wurde Einglück fallen gelassen und ein Polizist, der mich auf die Wache mitgenommen hat, lobte mich für meine Zivilcourage. Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ Slide New Layer New Layer „Das Warten hier macht die Menschen verrückt. Viele flüchten sich in die Droge oder in Religion. Einige wenige in fundamentalistische Ideen. Es gibt zwei bis drei IS-Anhänger hier im Heim.“ Der syrische Englischlehrer und Rezeptionist Malas, der immer einen starken Parfümgeruch verbreitet, wurde aufgrund seiner Ethnie schon öfter im Heim von Islamisten bedroht. „Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo haben sie ein Dankesgebet für die Attentäter gehalten. Ob die sich weiter radikalisieren oder nicht, hängt vom deutschen Staat ab und wie dieser mit uns Flüchtlingen umgeht.“ Slide New Layer New Layer Der lachende Bäckermeister pflegt Tradition. Mit seiner Musikgruppe spielt er in einer alten Dorfkneipe Erzgebirger Volksmusik. Mittwochs spendet er dem Begegnungscafé blecheweise Kuchen: Für ihn gibt es da keinen Gegensatz.

Slide Vor allem Rentner_innen veranstalten das Begegnungscafé mit Geflüchteten. Junge Menschen haben oft Angst. „Seit neuestem gibt es auf vielen Dörfern hier sogenannte Bürgerwehren, die uniformiert durch die Straßen ziehen. Sie schmieren Hakenkreuze vor Geflüchtetenwohnungen, bedrohen Helfer und greifen Ausländer an. Ich werde mittlerweile behandelt, als ob ich Luft wäre.“ Angst hat die anfang 60-jährige Frau jedoch nicht. Weil sie ihre Arbeit wichtiger findet.

Slide „Wir leben hier mitten im Wald. Einen Gehweg gibt es nicht. Nur die Straße. Oft wurde ich fast umgefahren. Die Fahrer hupten und zeigten mir den Stinkefinger.“ Der aus der mittlerweile völlig zerstörten Stadt Holms stammende Malas ist tägliche Gewalt um sich herum gewöhnt. Dass diese in Deutschland weiter geht, hätte er nicht gedacht. „Im Januar wurde ich an der Bushalte mit einem Luftgewehr beschossen. Das Zischen des Geschosses hörte ich in meinem linken Ohr. Fast alle wollen hier nur weg. Über ein Zelt in Dresden würden wir uns freuen.“

Slide Tradition auf dem sonntäglichen Mittagstisch vom "Hünen": Maggi Soßenfix, Fertigklöße und das bei Weitem nicht erste Bier. Slide New Layer New Layer Ich hab ja auch eine türkische Familie kennengelernt, die mich zum Essen eingeladen hat“, erzählt ein Fußballfan und Kandidat der Freien Wähler. „Aber die ganzen Nordafrikaner sollte man alle am Galgen aufhängen oder enthaupten.“ Slide New Layer New Layer „Mit dem ganzen braunen Gedankengut möchte ich nichts zu tun haben. Aber dass die da oben die Grenzen nicht dicht machen und immer mehr Asylanten her holen, die sich dann an unseren Frauen vergehen ...“ Der Anfang 20-jährige Bäckergeselle guckt am Samstagabend nachdenkend in sein fast leeres Bierglas in der vollen Dorfkneipe „Come In“. „Da müssen sich die Politiker nicht wundern, dass Tausende von uns zu PEGIDA gehen.“

Slide Die Grenzen zwischen „besorgten Bürgern“ und Neonazis verschwimmen. Viele, die gegen „die Braunen“ wettern, stehen dann doch zusammen mit ihnen auf Nein-zum-Heim-Demos. Viele, für die der Vierer-Pasch beim Würfeln „der Führer“ ist und die bei internationalen Fußballspielen im Fernsehen nach der Deutschen Hymne ein „Sieg Heil“ hinterher brüllen, wollen sich auch nicht als Nazis verstehen. Was sie eint, ist ihr Rassismus. Und dass die meisten sich als Wendeverlierer sehen, die nicht das geringste Vertrauen in bürgerliche Politik haben. Fehlende ökonomisch-politische Erklärungen und Lösungen für diese Probleme treiben sie in den Rassismus.