Durchsichtiges Spiel
Weiß bepudert durch Feuerlöscher, traten die Polizisten aus dem Gebäude in der Rigaer Straße 94, nachdem sie am Donnerstag gegen 9.30 Uhr die erste Tür des Hausprojektes in Berlin-Friedrichshain mit Hilfe einer Kettensäge geöffnet hatten. Um Feuerbekämpfung ging es bei dem gestrigen Einsatz von mehr als 1.000 Beamten aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner jedoch nicht. Sie hatten bereits im Vorfeld beklagt, dass es sich bei der Brandschutzprüfung lediglich um einen Vorwand handele. Polizei und Eigentümer warfen sie vor, für eine spätere Räumung Fakten schaffen zu wollen.
Eine Brandschutzprüfung hatte es bereits durch die Bauaufsicht des Bezirkes gegeben. Die zuvor festgestellten Mängel seien demnach nicht gravierend und würden keine Sperrung des Objektes rechtfertigen, wie durch den Eigentümer gefordert. Allerdings bestand die Briefkastenfirma Lafone Investment Limited darauf, das Haus und alle Wohnungen zusammen von einem eigenen Brandschutzexperten überprüfen zu lassen. Die »rot-rot-grüne« Landesregierung hatte den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes angewiesen, erneut die Grundlage für den Großeinsatz der Polizei zu schaffen. Wie schon in den vergangenen Monaten bei den Zwangsräumungen linker Projekte durch den Berliner Senat errichtete die Polizei eine »rote Zone«: Von Mittwoch bis Freitag ist es nur Anwohnern in Begleitung einer Polizeieskorte gestattet, Abschnitte der Rigaer und der Liebigstraße zu betreten.
Bereits am Mittwoch hatte es Protestaktionen gegeben, von denen die Berliner Polizei offenbar überrascht wurde: Noch bevor sie die »rote Zone« mit Hamburger Gittern verbarrikadieren konnte, hatten Aktivisten eine »autonome Zone« ausgerufen und Barrikaden in der Rigaer Straße errichtetet. Die Polizei brauchte trotz schweren Geräts knapp zwei Stunden, um das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Bewohnerinnen und Bewohner der »Rigaer 94« berichteten, dass bei der Besetzung des Daches durch die Polizei ein Schornstein zerstört worden. Außerdem habe sie eine Schornsteinleiter abgesägt, und die Dachluken seien zugeschraubt worden, um das Ergebnis der späteren Brandschutzprüfung zu sabotieren. Polizeisprecher Thilo Cablitz dementierte gegenüber junge Welt teilweise die Vorwürfe: Es seien lose Steine eines Schornsteins entfernt worden. Von der Leiter und der zugeschraubten Dachluke habe er keine Kenntnis. Eine unabhängige Überprüfung, was genau bei der Besetzung des Daches der »Rigaer 94« passierte, war hingegen nicht möglich. Die Polizei hatte Journalistinnen und Journalisten teilweise unter Androhung von Gewalt daran gehindert, die Rigaer Straße zu betreten.
Obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner des Hausprojekts dem Brandschutzgutachter der Eigentümer und den Vertretern des Bezirks einen freien und sicheren Zugang zum Haus versprochen hatten, lehnten diese ab. Sie bestanden auf einer polizeilichen Begleitung. Bis jW-Redaktionsschluss war noch nicht absehbar, mit welchen Konsequenzen der Einsatz enden würde.
»Wir haben immer um den Erhalt von Freiräumen gekämpft«, betonte Thomas Barthel, Pressesprecher der Fraktion von Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, am Donnerstag gegenüber jW. »Aber hier hatten wir keinen Einfluss. Es gab eine Anordnung des Verwaltungsgerichts.« Bereits Anfang März hatte die Taz den Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) mit den Worten zitiert: »Der Senat steht auf dem Standpunkt, dass ein Vertreter der Eigentümer das Recht hat, sich selbst ein Bild zu machen.« Es habe eine Abstimmung in der Regierung gegeben, den Bezirk zur Beschaffung einer Rechtsgrundlage für den Polizeieinsatz zu verpflichten, andernfalls würde ihm die Kompetenz entzogen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten der Beschlussvorlage zugestimmt, Die Linke sich enthalten.
Dieser Artikel erschien in der Jungen Welt